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Im Wettbewerb der Wohltaten?

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Beim Personal-Marketing setzen Arbeitgeber schon länger verstärkt auf Benefits. Die Mitarbeiter bekommen mitunter ein Budget in die Hand und können selbst entscheiden, ob sie es zum Beispiel für ein neues Smartphone, für eine Fitnessstudio-Mitgliedschaft oder eine Direktversicherung ausgeben. Was heißt das für die bAV? Wie schneidet sie im Vergleich mit anderen Benefits in der Gunst der Beschäftigten ab? LEITERbAV hat sich bei Arbeitgebern, Experten und Dienstleistern umgehört.

 „We care for and reward you“ ruft Henkel Nachwuchskräften und Fachleuten zu, die sich für einen Einstieg in das Unternehmen interessieren. Der Satz betitelt die globale Total-Rewards-Strategie, in der das Vergütungsmodell des Konzerns geregelt ist. Martina Baptist, Head of Total Rewards, Pension & Payroll Management bei Henkel Deutschland, kommentiert: „Hervorragende betriebliche Zusatzleistungen machen bei uns den Unterschied.“ Henkel verspricht sich von den Benefits also einen Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt.

bAV oder Fitnessstudio?

Die Henkel AG & Co KGaA stellt jedem Tarifbeschäftigten einen sog. Zukunftsbetrag zur Verfügung. Das ist im Tarifvertrag „Moderne Arbeitswelt“ vorgesehen. „Die Mitarbeiter haben die komplette Entscheidungsfreiheit über ihren Zukunftsbetrag und können ihn flexibel für unterschiedliche Benefit-Optionen ganz oder teilweise verwenden“, sagt Baptist. Zur Auswahl stehen neben Altersvorsorge bspw. Gesundheitsschutz und Diensträder. Vereinfacht ausgedrückt stellt das die Beschäftigten vor die Frage: Fitnessstudio-Mitgliedschaft oder Betriebsrente durch Entgeltumwandlung?

Manche Experten vermuten, dass die bAV bei dieser Wahl nur verlieren kann.

Anders formuliert: Spaß und Konsum direkt heute? Oder lieber die Aussicht auf eine Betriebsrente in mehreren Jahrzehnten? Manche Experten vermuten, dass die bAV bei dieser Wahl nur verlieren kann. Hinzu kommt: Für die Arbeitgeber sind Benefits wie bspw. Sachbezug, Essensgeld und Job-Ticket viel leichter und mit weniger administrativem Aufwand umsetzbar als eine bAV. Können Benefit-Angebote also dazu führen, dass Vorsorgebeiträge umgelenkt und – statt für bAV – für kurzfristige Alltagsausgaben genutzt werden?

Bedeutung von Benefits wächst

Klar ist: Künftig werden Arbeitnehmer wohl sogar noch mehr Optionen haben als heute. Darauf lässt jedenfalls eine Studie der HR-Strategieberatung Lurse vom März 2020 schließen, für die 50 mittelständische und große Unternehmen unterschiedlichster Branchen befragt wurden. Knapp 40% schätzten damals die Bedeutung von Benefits für ihre Employer-Branding-Strategie als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ ein. Mehr noch: Nach der künftigen Bedeutung von Benefits gefragt, verdoppelte sich der Wert auf rund 80%.

Die Corona-Pandemie und die dadurch ausgelösten Veränderungen in der Arbeitswelt hätten die Nachfrage nach Benefits verändert, berichtet Philipp Dienstbühl, Manager bei Lurse: „Bei den Mitarbeitern sind durch ‘New Work’ neue Bedarfe entstanden, die Benefits decken können. Beispiel ortsunabhängiges Arbeiten: Beschäftigte wollen mobil sein, dabei unterschiedliche Verkehrsmittel nutzen können und zugleich die Umwelt schonen. Diesem Bedarf entspricht weniger der klassische Dienstwagen, eher ein flexibles Mobilitätsbudget oder das kostenlose Laden des Elektroautos auf dem Firmenparkplatz.“

Nicht „entweder oder“, sondern „sowohl als auch“

Dienstbühl berät Arbeitgeber dabei, Benefit-Portfolios neu zu gestalten oder strategisch auszurichten und betriebliche Versorgungswerke zu konzipieren oder neu zu ordnen. Er ist also in der bAV- wie in der Benefit-Welt gleichermaßen zu Hause. Wenn er zu Kunden gerufen wird, findet er dort oft ein buntes Sammelsurium an Gehaltsnebenleistungen vor. „Als erstes frage ich dann: Was wollen Sie erreichen? Wie sollen bAV und Benefits Ihre Unternehmens- und HR-Strategie unterstützen? Welche Mitarbeiter wollen Sie finden und binden? Die Antworten fließen in ein integriertes Vergütungskonzept ein, das die bAV und alle weiteren Benefits umspannt“, berichtet der Diplom-Mathematiker.

Die administrative Umsetzung von Benefit-Projekten stemmen nur 20% der Arbeitgeber komplett selbst, hat Lurse ermittelt. Die Hälfte davon sind Konzerne wie Henkel, wo die Gehaltsnebenleistungen im selbst programmierten, digitalen „House of FlexBenefits“ versammelt sind. KMU hingegen greifen häufig auf Dienstleister zurück, die vorgefertigte Benefit-Plattformen vermarkten. Die Vorteile: Wenn die Benefit-Prozesse in der Plattform rechtskonform abgebildet sind, müssen die Arbeitgeber weniger internes Fachwissen vorhalten. Hinzu kommt, dass die Arbeitgeber keinen eigenen IT-Aufwand haben. Sie müssen nur entscheiden, welche der verfügbaren Leistungen sie ihren Mitarbeitern anbieten wollen. Hier liegt zugleich der Nachteil: Das Spektrum der Gehaltsnebenleistungen ist eingeschränkt, in der vielfältig sensiblen bAV zum Beispiel oft auf Entgeltumwandlung und einen kleinen Kreis von Produktanbietern.

Zu den Anbietern von Benefit-Plattformen gehört Belonio aus Münster. Das Unternehmen ist 2015 von Sven Janßen und Frank Rohmann gegründet worden. Aktuell betreuen 21 Mitarbeiter rund 1.000 Arbeitgeber in Sachen Gehaltsnebenleistungen. Der Schwerpunkt liegt bei Unternehmen zwischen 100 und 500 Mitarbeitern. Am häufigsten nutzen Belonio-Kunden den steuerfreien Sachbezug, gefolgt vom Essenszuschuss und der bAV. Obwohl Janßen vor seiner Gründung selbst als Versicherungsmakler tätig war, tritt Belonio gegenüber seinen Kunden nicht als Vermittler auf. Die Arbeitgeber bringen entweder ihren eigenen Makler mit, oder sie bekommen eine Empfehlung aus dem Belonio-Netzwerk.

Tagesaktuelle Zahlen statt jährliche Standmitteilung

„In der bAV kann unsere Plattform jeden Durchführungsweg und jeden Tarif abbilden“, berichtet Janßen. Denn: „Belonio rechnet nicht selbst, sondern stellt über Schnittstellen eingespielte Daten für Arbeitnehmer verständlich dar. Diese Daten sind in einer App einsehbar, die 95% aller Beschäftigten nutzen.“

„Eine reine bAV-App würden nur wenige anklicken.“

Wie kommt es zu dieser hohen Quote? Die Arbeitnehmer müssen die App öffnen, um bestimmte Benefits erhalten zu können. Beispiel Essenszuschuss: Er wird nur gewährt, wenn der Beschäftigte den Kassenbon oder die Restaurantrechnung mit der App fotografiert und einreicht.

„Eine reine bAV-App würden nur wenige anklicken“, vermutet Janßen. „Unsere Benefit-App hingegen nutzen fast alle.“ Dort finden Arbeitnehmer, die eigentlich nur eine Essensquittung einreichen wollten, auch Informationen über ihre Betriebsrente. „Und zwar tagesaktuelle Zahlen und keine Jahreswerte, wie in den Standmitteilungen, die Versicherer per Brief verschicken“, betont Janßen. Videos und digitale Assistenten informieren über Durchführungswege und Tarife, Beratungstermine lassen sich ebenfalls digital vereinbaren. „So macht die Plattform bAV täglich präsent und konkret erlebbar, verbessert die Informationslage und fördert die Kommunikation“, sagt Janßen.

Auch die Administration der bAV werde durch Benefit-Plattformen erleichtert, berichtet Sebastian Maaß, Geschäftsführer des Anbieters Valuenet aus München. „Mit Neukunden kommen wir meist nicht deshalb ins Gespräch, weil sie eine bAV einführen wollen, sondern weil sie Unterstützung beim Verwalten ihrer Gehaltsnebenleistungen benötigen.“ Dabei könne Valuenet helfen, auch in der bAV: „Jegliche Abwicklung und jeglicher Datentransfer zwischen Mitarbeiter, Arbeitgeber, Versicherungsgesellschaft und Abrechnungssystem läuft über das Valuenet-Portal, ohne dass sich von Arbeitgeberseite jemand einschalten muss“, so Maaß. In der bAV-Welt bieten viele solche Services an – aber nicht alle decken auch die Administration weiterer Gehaltsnebenleistungen ab.

Administrative Entlastung als Türöffner für bAV?

„Nachdem die Verwaltung des bestehenden Benefit-Portfolios neu geordnet ist, fragen uns Kunden oft im nächsten Schritt, ob wir zusätzlich eine bAV integrieren können“, berichtet Maaß. Er habe sogar schon erlebt, dass Mitarbeiter in Personalabteilungen ihre Blockade-Haltung gegenüber der bAV aufgeben, wenn sie sehen, dass der Verwaltungsaufwand mit digitaler Unterstützung beherrschbar ist. So kann administrative Entlastung zum Türöffner für die Betriebsrente werden.

Insgesamt können Unternehmen ihren Mitarbeitern über Valuenet derzeit bis zu 25 Benefits anbieten. Am häufigsten nachgefragt werden aktuell Elektronik-Leasing, E-Bikes und Fahrräder sowie der steuerfreie Sachbezug. Die bAV rangiert auf der Beliebtheitsskala etwa auf Platz acht. Im Gegensatz zu Belonio ist Valuenet in der Betriebsrente als Makler tätig, finanziert sich also auch durch Provisionen und Honorare. Auch hier können alle Durchführungswege und Tarife aller Produktanbieter abgebildet werden.

Mehr Symbiose als Konkurrenz

Und wie ist es nun um das vermeintliche Konkurrenzverhältnis zwischen bAV und anderen Benefits bestellt? Können E-Bike, Smartphone und Fitnessstudio-Mitgliedschaft der Betriebsrente wirklich den Rang ablaufen? Im Tenor beantworten alle befragten Experten diese Frage ähnlich:

„Unterschiedliche Benefits richten sich an unterschiedliche Mitarbeitergruppen. Sie konkurrieren nicht, sondern sie ergänzen sich.“

Lurses Dienstbühl: „Die bAV ist und bleibt das mit Abstand attraktivste Benefit, vor allem für etablierte Fach- und Führungskräfte. Neben der Betriebsrente spielen in dieser Liga nur der Dienstwagen, die 24-Stunden-Unfallversicherung und größere Zuwendungen im Rahmen von § 37b EStG, der ‘Logenparagraf’, eine Rolle. Alle weiteren Benefits fallen finanziell weit weniger stark ins Gewicht. So ist zum Beispiel der steuerfreie Sachbezug auf 50 Euro pro Monat begrenzt. Bei Gutverdienern macht das keinen spürbaren Unterschied – bei Berufseinsteigern und Beziehern niedrigerer Einkommen hingegen schon. Mein Fazit: Unterschiedliche Benefits richten sich an unterschiedliche Mitarbeitergruppen. Sie konkurrieren nicht, sondern sie ergänzen sich.“

Auch Janßen von Belonio sieht das Ausgleichende: „Einige Benefits, zum Beispiel der steuerfreie Sachbezug, erhöhen den Nettolohn. Dadurch werden zusätzliche Budgets freigesetzt, die dann für die Betriebsrente zur Verfügung stehen. Die ‘kleineren’ Benefits konkurrieren nicht mit der bAV. Im Gegenteil – sie können die Bereitschaft von Arbeitnehmern, eine Betriebsrente abzuschließen, sogar erhöhen.“

„Für welches Benefit sich ein Arbeitnehmer entscheidet, hat oft damit zu tun, in welcher Einkommensschicht er sich bewegt“, hat auch Maaß von Valuenet beobachtet: „Wenn Mitarbeiter mit ihrem Entgelt im Alltag gerade so über die Runden kommen, werden sie sich überwiegend für Benefits entscheiden, die mehr Geld ins Portemonnaie bringen. Will der Arbeitgeber die Verbreitung der bAV in dieser Gehaltsklasse steigern, sollte er Zuschüsse leisten, die deutlich über das gesetzlich geforderte Mindestmaß hinausgehen.“

80 Prozent Durchdringungsquote

Martina Baptist von Henkel kann ihre Antwort mit einer Zahl unterlegen. Der Konzern fährt in Sachen bAV zweigleisig. Jeder Mitarbeiter bekommt eine voll arbeitgeberfinanzierte Direktzusage. Zusätzlich haben die Beschäftigten die Möglichkeit, ihre Betriebsrente per Entgeltumwandlung zu polstern. Die Entgeltumwandlung ist im „House of FlexBenefits“ abgebildet.

„Wir nehmen hier keinen Wettbewerb wahr.“

„Seit Einführung der Plattform und dem zusätzlich verfügbaren Zukunftsbetrag hat sich sowohl die Nutzung der angebotenen Benefits als auch die Wertschätzung verstärkt, da die Benefits viel präsenter und bewusster wahrgenommen werden“, resümiert Baptist. Mehr als 80 Prozent der Mitarbeiter im Unternehmen nutzten die Möglichkeit zur Entgeltumwandlung. Diese Quote habe sich seit Einführung des „House of FlexBenefits“ nicht verändert. „Wir nehmen hier keinen Wettbewerb wahr.“


(Quelle: Michael Müller, Köln am Rhein, 30. August 2022 – bAV Leiter)