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Unser Buch-Tipp: Warum wir vom Ende von Social Media sprechen müssen

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Die sozialen Medien haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Kaum etwas ist vom ursprünglichen Gedanken übriggeblieben. Einfach gesagt ist es ein Ende von Social Media – zumindest so, wie wir sie bisher kannten.

"Giving people the power to build community and bring the world closer together" ( https://about.meta.com/company-info/ ). Die Mission von Meta macht bis heute deutlich: Der Grundgedanke von Social Media ist einfach schön: Menschen weltweit miteinander zu vernetzen und einander näherzubringen, damit sie sich unabhängig von Zeit und Raum austauschen können. Dieser Austausch ging einher mit Werten wie Authentizität, Transparenz, Individualität, Persönlichkeit, die die Inhalte der Kommunikation prägten.

Doch heute steht der Mensch immer weniger im Mittelpunkt, der Faktor »social« ist nicht mehr wahrnehmbar. Schritt für Schritt wurde der persönliche Austausch mit Friends, Fans & Family getilgt. Stattdessen haben die finanziellen Interessen der Plattformen die Macht über die Feeds übernommen. Sie bestimmen, was die Menschen zu sehen, zu lesen, zu hören bekommen. Einfach gesagt: Feeds bestehen nicht mehr aus den Beiträgen des eigenen Netzwerkes; die Idee des aktiven Austausches ist durch algorithmische Filter, durch Empfehlungen, durch KI-Content, durch passives Entertainment, durch vielfältige Werbung, durch polarisierende Inhalte und Filterblasen erodiert.

Connections spielen keine Rolle mehr

Sortierten ganz zu Anfang die Algorithmen nur die Reihenfolge der Postings in unseren Feeds, haben sie sich immer stärker zu den wahren Gatekeepern der Inhalte entwickelt. Sie definieren, welche Inhalte eingeblendet und welche aus ihrer Sicht nicht adäquaten Inhalte eher ausgeblendet werden. Sie bestimmen anhand von Interaktionen und Verweildauer, welche Beiträge Sichtbarkeit erhalten und welche Inhalte im digitalen Nirvana verschwinden.

Denn Verweildauer ist aus Sicht der Plattformen der Schlüssel zum Erfolg – und zu mehr Werbeeinblendungen. Kein Wunder, dass sich die Social-Media-Kanäle nach dem Vorbild von TikTok zu Media- und Entertainment-Plattformen gewandelt haben. Schließlich beschäftigen wir uns viel länger mit den unterhaltsamen Videoinhalten fremder Creator als mit den persönlichen Beiträgen unserer Freunde. Doch wo ist dann das „Social“ geblieben?

180 Grad-Wandel der Plattformen

Die Art und Weise, was soziale Medien ausmachen und wie wir soziale Medien nutzen, befindet sich folglich in einem 180 Grad-Wandel. Während wir früher persönliche Anliegen austauschten, erhalten wir heutzutage anonyme Inhalte. Statt individuelle Meinungen erhalten wir kuratierten Content. Statt fachliche Einschätzungen finden wir teilweise per KI erstellte Antworten. Friends Graph, Follower-Community, People-Networking: die soziale Komponente hat ihre Relevanz eingebüßt.

Und die Menschen? Diese ziehen sich immer stärker und länger in private Räume zurück oder begeben sich auf die Suche nach Alternativen im Fediverse, auch wenn sie sich dort oft recht alleine fühlen. Ihre Inhalte teilen sie via WhatsApp, ihre Lieblingstools heißen Direktnachrichten, geschlossene Gruppen oder thematische Communitys. Schließlich bieten diese einen sicheren Ort, um sich in engen Kreisen auszutauschen und das ursprüngliche Versprechen der sozialen Medien zu erleben, frei, unbeobachtet und ohne äußere Einflüsse zu kommunizieren. Kein Wunder, dass Meta & Co. mit (Broadcast) Channels in die privaten Räume vordringen. All dies läutet eine Zeit ein, die weniger an Social Media denn an die Zeiten von E-Mail und Newsletter erinnert.

Das Ende von „Social“ in Social Media

Gerade die Kommerzialisierung des Internets habe in der digitalen Welt zu einem klaren Verlierer geführt und zwar „vor allem das Social in Media“ meinte Philipp Westermeyer, der Chef der Online Marketing Rockstars (OMR) auf dem Pioneer-Strategiegipfel der Familienunternehmer (MyWay 2023): "Wenn ich jetzt Social Media öffne, sehe ich Inhalte von internationalen Stars, von der Tagesschau, von der NBA. Es ist nicht immer das Soziale, es ist eigentlich fast nichts Privates mehr drin.“ Seine Folgerung – „Social Media ist tot. Entertainment ist das Thema der Stunde“ – ist daraus nur die logische Konsequenz und ein Abbild der heutigen weniger sozialen denn rein medialen und kommerziellen Medienwelt.

Ist die Ära der sozialen Medien also zu Ende? Oder ist es „nur“ eine Evolution oder gar Transformation? Es ist auf jeden Fall ein Ende von Social Media, so wie wir es bisher kannten und viele noch kennen, wahrnehmen und nutzen. Und es stellt den Begriff „Social“ innerhalb der Paarung „Social Media“ massiv in Frage. Doch wenn die Plattformen immer weniger „social“ sind, müssen wir uns dann nicht auch von dem Begriff Social Media verabschieden und dies stärker als Digital Media bezeichnen?

Und welche Konsequenzen hat dies für Unternehmen und Institutionen?

Die Veränderungen in den sozialen Medien haben Unternehmen und Institutionen in den letzten Jahren immer intensiver zu spüren bekommen. Ihnen fiel auf, dass ihre eigenen Inhalte immer weniger Sichtbarkeit erhielten und ihre eigene Community immer mühsamer zu erreichen war.

Der Hintergrund: Immer stärker bestimmen heute technologische Algorithmen und künstliche Intelligenzen die Inhalte in den Feeds der Menschen und nicht die eigenen Connections, schicken sie die Plattformen zu ähnlichem Content anstatt zu den bestehenden Freunden. Auf diese Weise büßen auch mühsam aufgebaute Seiten auf den digitalen Netzwerken immer stärker an Sichtbarkeit und Reichweite ein.

Viele Organisationen reagieren darauf mit noch mehr Content über noch mehr Kanäle. Doch damit werden sie künftig kaum ihre Zielgruppen erreichen können. Vielmehr müssen sie radikal umdenken und ihre bisherige Strategie neu ausrichten. Dabei können sie sich an den folgenden 7 Empfehlungen orientieren:

1. Zielgruppen first: Organisationen müssen ihre Kanäle noch viel stärker als bisher auf ihre Zielgruppen und ihre Unternehmensziele ausrichten. Eine eingehende Analyse der bisherigen Aktivitäten wird bei vielen dazu führen, dass sie lieb gewonnene Kanäle schließen bzw. zurückführen müssen, weil sich der Aufwand nicht mehr mit den Zielen vereinbaren lässt.

2. Social heißt Paid: Organisationen müssen das bisherige Social Media als Paid Media verstehen. Ohne wachsendes Werbebudget wird künftig jedes Engagement auf den Plattformen verpuffen bzw. einen zu geringen Kosten-Nutzen-Faktor haben. Nur mit zusätzlichem Paid Content wird sich künftig selbst organischer Content lohnen und rechnen.

3. Eigene Kanäle stärken: Algorithmen der Plattformen sind nichts Festes und Unbewegliches. Vielmehr werden sie regelmäßig angepasst. Ein Verständnis für sie ist daher hilfreich, eine Ausrichtung der Inhalte rein auf Algorithmen dagegen schädlich. Statt solcher Abhängigkeiten müssen sie ihre eigenen digitalen Plattformen stärken, über die sie Kontrolle haben. Zu diesem „Owned Media“ zählen Webseiten, Blogs, Podcasts, Content-Hubs genauso wie E-Mail-Newsletter oder eigene Apps.

4. Communitys aufbauen: Nur wenn Menschen das Gefühl haben, sich in einer vertrauensvollen Umgebung zu befinden, die ihnen einen wirklichen Mehrwert liefert, werden sie viel Zeit dort verbringen. Vor diesem Hintergrund wird es künftig darum gehen, eigene, auch kleinere thematische Communitys aufzubauen – im B2B- wie im B2C-Bereich. Dazu zählen ebenfalls eigene Apps, begleitende Community-Events, thematische Newsletter und nicht nur die Gruppen innerhalb der großen Plattformen.

5. Integrativ denken: Die einzelnen Kommunikationskanäle dürfen nicht mehr als getrennte Disziplinen gesehen werden. Vielmehr wachsen sie in den letzten Jahren immer stärker zusammen. Zwei Beispiele: Wer an seinen Social Media Content denkt, muss das Thema Suchmaschinenoptimierung berücksichtigen, also SEO bezogen auf Inhalte, Bilder, Videos und Profile. Und wer segmentierte E-Mail-Newsletter ausrichtet, sollte Ableger auf den Channels von Instagram, WhatsApp und bald Facebook mitdenken.

6. Content anpassen: Menschen nehmen Content heute immer schneller und oberflächlicher wahr. Innerhalb weniger Sekunden entscheiden sie, ob er für sie relevant ist – unabhängig von den Plattformen und Kanälen. Genau auf diese Scanner und Skimmer – und nicht auf eventuelle Reader – muss der Content individuell adaptiert werden – über klare Titel, verständliche Hooks und Teaser und aktivierende Call-to-Actions.

7. Mitarbeitende sprechen lassen: Menschen wollen mit Menschen sprechen. Weil sie authentischer sind. Und Menschen erhalten mehr Sichtbarkeit als Unternehmen. Weil dies die Plattformen so wollen. Wer also als Unternehmen künftig kein eigenes Corporate Influencer-Programm aufsetzt, wird weiter an Sichtbarkeit verlieren. Dies erfordert bei vielen tradierten Unternehmen ein kräftiges Umdenken.

Diese sieben Hinweise zeigen, dass es nicht darum geht, Social Media zu verdammen. Vielmehr müssen die Kanäle neu ausgerichtet und strategisch neu gedacht werden, damit sie einen kommunikativen Mehrwert für Organisationen bieten. Genau dazu soll auch dieses Buch dienen.

Dominik Ruisinger ist gelernter Journalist, ausgebildeter PR-Berater und Stiftungsmanager. Seit 20 Jahren arbeitet er als Berater/Coach für digitale Kommunikation.

Das Ende von Social Media:
„Warum wir digitale Netzwerke neu denken müssen.“

Schäffer-Poeschel Verlag
2024, 212 Seiten, 29,99 Euro